Mittwoch, 15. April 2020

Unter Wölfen …

Zu Besuch beim Wolfsexperten


Schon bei der ersten vorsichtigen Berührung spüre ich ihn, den Unterschied. Irgendwie kräftiger, aber auch drahtiger, fester – irgendwie fühlt es sich „purer“ als bei den meisten Hunden an. Und sogleich nach dieser ersten Berührung ist das Eis zwischen mir und Kiba gebrochen. Er springt mich an, will an meinem Mund und meiner Nase lecken. Ein typisches Unterwürfigkeitsignal bei Hunden – nur ist Kiba ein Wolf.

Die Natur im Auge: Wolfsblick
Foto: Ira Prettycloud

Im Gespräch mit Jos de Bruin
Foto: Ira Prettycloud
Jos de Bruin – er leitet seit fast 20 Jahren eine Auffangstation für Wölfe verschiedener Arten in ­Sonsbeck – erklärt: „Die Signale sind ähnlich, nur sind sie bei Wölfen im Vergleich zu Hunden übertrieben“. Auch die sehr wolfähnlichen Hunderassen wie Saarloos und Amerikanische Wolfshunde nimmt er bei sich in Wolves Un­limited auf. „Mit Saarloos, dieser recht ursprünglichen Rasse, habe ich damals ja angefangen“, erinnert er sich. Meist kommen die Tiere aus Zoos und Zirkussen, deren Bestand zu groß geworden ist. „Nicht selten melden die sich selber bei mir, das ist dann ganz unproblematisch.“ Doch das ist nicht immer so, denn manche wollen ihre Wölfe nicht herausgeben, schließlich verdienen sie damit Geld. Das gilt vor allem für Jungtiere: „Die wollen die nicht immer jung abgeben, weil die Babys Geld einbringen.“ Und was macht er, wenn es Probleme gibt mit den Haltern? „Da arbeite ich dann auch mit Tierschützern und Veterinärämtern zusammen“, erklärt Jos.

Wölfischer Welpencharme
Foto: Ira Prettycloud

Ich bin kein Wolfsexperte so wie Jos, dennoch würde ich die Kommunikation anders bezeichnen. Nicht „übertrieben“, eher kommt sie mir „ungeschliffener“ und „überdeutlich“ vor. Eigentlich auch logisch, denn in seiner Entwicklung an der Seite von Menschen brauchte der Hund diese Eigenschaften nicht. Wir Zweibeiner haben viele dieser Signale ja eh nicht oder falsch verstanden.

Jung und alt gemeinsam...
Foto: Ira Prettycloud

Wölfe und Hunde machten eine Koevolution durch
Foto: Ira Prettycloud
Im Laufe ihrer Koevolution mit dem Menschen haben Hunde daher viel ihrer Ursprünglichkeit verloren, meint Jos. „Dennoch kann man noch viel von ­Wölfen und ihrem Verhalten lernen“, betont er, „gerade weil vieles deutlicher ist als bei den domestizierten ­Hunden.“ Er vergleicht es ein wenig mit der ­Primatenforschung: „Wir haben auch nicht mehr viel mit Affen gemeinsam und dennoch aus der Forschung mit ihnen viel über uns selber erfahren.“

Gefahr: Die wilde und ungezähmte Natur des Wolfes lockt so manchen Hundehalter...
Foto: Ira Prettycloud

Derzeit beobachtet der Wolfsexperte einen Trend, der ihm Sorgen macht: „Es gibt ein ‚Zurück-zur-Natur‘, was ich ja ganz gut finde. Doch einigen reicht der Hund als Verbindung zur Natur nicht. Wegen ihrer Ursprünglichkeit ist es derzeit Mode, Wolfshybriden anzuschaffen – ohne das nötige Wissen dafür.“ Dabei ist ein Wolf noch viel mehr ein Wildtier, hat er doch keine Domestikation durchgemacht wie unser Haushund. Außerdem wird auch viel Mist erzählt in dem Zusammenhang – meist aus Profilierungssucht: „So mancher erzählt gern, sein Wolfshybrid hat 80 oder 90 Prozent Wolfsgene, in Wahrheit sind es aber nur 50 oder 60 Prozent. Wer das mitbekommt, denkt sich, dass der ja noch sehr ‚hundemäßig‘ ist. Und wenn er sich dann selber auf der Basis des Erlebten einen anschafft und an einen ­Händler gerät, der das nicht angibt, dann bekommt er einen, der wirklich 80 oder mehr Prozent Wolfsgene hat – dann ist das Geschrei um die vorprogrammierten Probleme groß.“ Nicht selten wird Jos auch zu solchen Fällen gerufen. „Und es werden immer mehr. Diese Mode ist schlimm, denn Auffangstationen wie meine können nicht alle aufnehmen.“

Trotz seiner großen Sozialkompetenz und Kommunikationsstärke bleibt der Wolf ein wildes Tier...
Foto: Ira Prettycloud

Wieder auswildern kann er die Wölfe und Wolfshybriden jedoch nicht. „Die haben die natürliche Scheu von Wölfen nicht mehr. Von daher würden sie anders als Wölfe bei einer Gefahren­situation auch nicht weglaufen und so auch zu einer Gefahr für Menschen werden.“ Aber was geschieht dann mit ihnen? Häufig vermittelt sie Jos in Zoos, deren Bestand noch klein ist oder die frisches Blut für ihr Rudel ­brauchen. ­Finanziert wird das Ganze durch Spenden und Workshops. Mit Letzteren leistet Jos neben der ­praktischen Hilfs­arbeit auch die theoretische Aufklärungsarbeit. Beides ist wichtig, um das Wesen des Wolfes zu verstehen!

Schon während des Gesprächs leisteten uns zwei Wölfe Gesellschaft, die Jungen Kiba und Kayleigh. Doch danach ging es in eines der Gehege. Darin waren vier ausgewachsene Wölfe und Wolfshybriden. Es war zwar nicht das 1. Mal, dass ich diesen Wildtieren begegnete, aber: noch nie war ich ihnen so nah, so ganz ohne Abgrenzung, im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig auf die Pelle gerückt. Und zum 1. Mal berührte ich diese wunderbaren Tiere. Diese Kraft, diese Purheit. Irgendwie wirkten sie fast ­mager, alles nur Muskeln und Sehnen, kein Gramm zu viel, nichts Unnötiges – eben kein zivilisatorischer Ballast. Es war für mich ein mehr als nur beein­druckendes Erlebnis, diesen Tieren so nah zu sein und ihre Reaktionen auf mich zu beobachten. Jeder zeigte da seinen individuellen Charakter: Während mich Timber erst argwöhnisch beobachtete und dann sich ganz vorsichtig zum Schnuppern näherte, waren andere dagegen aufgeschlossener.

Dank seiner Erfindungsgabe stellen für Wölfe auch zivilisatorische Hindernisse kein Problem dar...
Foto: Ira Prettycloud

Sicher, diese Wolfsartigen haben mit unserem Haushund vielleicht nicht mehr viel gemeinsam. Aber am ehesten vergleichbar ist es, als ob wir Menschen in das Gesicht eines Gorillas oder Orang-Utans blicken. Ein Blick in die Vergangenheit, zurück zu unseren natürlichen Wurzeln. Und hier waren es eben die Wurzeln unserer ältesten Freunde, der Hunde.

Trotz der engen Verwandtschaft, bleibt der Wolf ein wilfes Tier und gehört in die freie Wildbahn und nicht ins Wohnzimmer!
Foto: Ira Prettycloud

Leider durfte Rico nicht mit. Denn seine Nähe hätte die Wölfe sicher irritiert. Aber bei der Verabschiedung konnte ich beobachten, wie er auf Jos reagierte: Mit äußerster Neugier. Seine Nasenflügel vibrierten, die Ohren zeigten nach vorne. Es war wohl das Dufttreffen mit seinen Vorfahren. Auch später roch er immer wieder an mir, jede Riechinfo schien ihn zu interessieren, ja mehr noch, ­beinahe zu bannen. Begriff er, dass es seine Vorfahren waren? Wohl kaum. Jedenfalls nicht so kognitiv wie wir Menschen. Sicher nahm er eine gewisse Ähnlichkeit wahr, aber auch das viele Fremde, das Wilde daran. Auf jeden Fall reagierte er anders als sonst bei ihm fremden Tieren. So war es für uns gemeinsam ein mehr als interessantes Erlebnis – für mich ganz direkt und mehr über die Augen, für Rico eher indirekt und schnüffel­spannend.

Infos

Linktipps
Der Rasse-Wahn und seine Folgen:
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=37473

Wolfshybriden und Retro-Züchtungen:
https://www.3sat.de/page/?­source=/wissenschaftsdoku/­sendungen/170941/index.html



Anmk.: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 04/2017; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Während der Olle mit den Wölfen tanzte, durfte ich sie nur erriechen...

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