„Hey, wir hätten gern ’nen Pitbull!“, artikuliert das junge Pärchen, das einem schlechten Film entsprungen scheint: Sie sieht aus wie eine junge Version von Courtney Love und wirkt auch ähnlich verpeilt, so als sei sie schon auf halbem Weg ins Nirwana. Hektisch ist ihr Blick, Augenkontakt ist kaum möglich, immerhin geben ihre vielen Piercings ein paar Fixpunkte in ihrem Gesicht. Er hält sich im Hintergrund, wirkt dabei aber nur noch skurriler, vom Aussehen her das Idealbild eines Junkies. Selbst mein ansonsten an den Anblick skurriler Menschen gewohntes Döggelchen Rico betrachtete sie konsterniert. (Da wir in der Düsseldorfer Altstadt wohnen, hat er schon als Welpe Menschen in sämtlichen Aggregatzuständen gesehen und angeschnüffelt.) „Was wisst ihr denn über die Rasse?“, fragte die Tierheim-Mitarbeiterin mit einer Geduld in der Stimme, die man wohl nur durch unendliche Szene-Wiederholungen erlangt. Ich schnappe Fetzen der Antwort auf: „Hab‘ Fotos gesehen … immer schon mein Traumhund … die schauen so süß … voll ey!“ und ähnlich informationsgehaltvolle Worte. 😉
„Ihr wisst aber schon, dass es sich dabei um Listenhunde handelt?“, fragt die Tierheim-Mitarbeiterin. In ihrer Stimme vibriert das schon an Präkognition grenzende Wissen um die Antwort: „Ja klar, aber das macht uns nichts, dass der auf einer Liste steht. Wir haben da keine Vorurteile.“ Na das ist ja mal toll – aber wie sieht es mit dem Wissen darum aus, was da alles dranhängt – besondere Sachkunde, höhere Steuern, Maulkorb- und Leinenzwang (von dem man sich zwar befreien lassen kann, was aber Mühe und Zeit kostet)…?
Ein neues Zuhause sollte gut gewählt sein, damit es nicht nur ein qeiterer Parkplatz ist... Foto: Lutz Borger |
Mit bewundernswerter Geduld und recht emotionslos antwortete die Tierheim-Mitarbeiterin: „Wir haben gerade nur einen Pitbull und der ist reserviert, aber ihr dürft euch gern umschauen, ob ihr einen anderen Hund sympathisch findet, und dann schauen wir weiter.“ Warum ich ihre Geduld bewundere? Ganz einfach, meine Antwort wäre gewesen: „Tut euch, der Umwelt und vor allem dem Hund einen Gefallen und kauft euch ein Stofftier!“ (Jaja, ich weiß: ich bin zuweilen sehr direkt ;-)). Immer wieder hören wir Geschichten, dass Tierheime besonders hohe Hürden für die Adoption eines Hundes aufstellen. Ja, viele meinen sogar, es wäre kaum noch möglich, aus einem Tierheim einen Hund zu bekommen. Das stimmt nach meiner Erfahrung, es ist im Vergleich zu früher wirklich nicht mehr so einfach. In meiner Kindheit ging man ins Tierheim, suchte sich einen Hund aus, unterschrieb ein paar Blätter und das war es. Aber ist einfach auch immer besser? Wohl kaum, zumal die Rücklaufquote so sicherlich größer ausfällt.
Und so stehen Tierheime seit einiger Zeit unter Beschuss, sind die Bösen. Weil sie doch die armen Tiere lieber in Zwingern halten, als sie den ach so „fürsorglichen“ Besuchern einfach so mitzugeben. Wobei ich mich immer frage, ob zur Fürsorge nicht auch das Vorab-Informieren gehört. Aber gut, offenbar sehe ich das zu logisch. Denn wenn ich solche Leute darauf ansprach, ob sie sich vorher mal informiert haben, erhielt ich Antworten wie „Ich will einen Hund, keine Doktorarbeit schreiben …“. Tja, wenn ein paar grundsätzliche Infos schon reichen, um einen Doktor-Titel zu bekommen, dann wundere ich mich mal, warum nicht mehr Menschen einen haben …
Sicher, es mag Tierheime geben, die es übertreiben. Immer wieder hört man ja so Horror-Stories, dass man keinen Hund bekommen hätte. Die Sozialen Medien (oder wie ich sie gern nenne: Netzwerke der Soziopathen) sind ja voll davon. Verständlich, dass die Betroffenen konsterniert sind – handeln sie doch in der Überzeugung eine gute Tat zu tun. Ebenso verständlich ist es auch, dass sie einige Gründe der Ablehnung verschweigen. Wer will schon zugeben, dass man sich durch Unwissenheit blamiert hat? Doch die Regel ist es nicht, dass Tierheime „nix rausrücken“! Dagegen sprechen nicht nur die zahlreichen Hunde aus dem Tierschutz, die durch die Sozialen Medien wuffen, sondern auch die Statistik: Es werden jährlich wesentlich mehr Hunde bei Tasso eingetragen, als Züchter Nachwuchs beim Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) melden. Die Mehrheit, die in diese Lücke fällt, kommt aus dem Tierschutz (ein gewisser Teil leider auch aus so genannten Vermehrer-Betrieben im In- und Ausland).
Sicher, im Tierschutz ist auch nicht alles grün. Auch darunter mischen sich schwarze Schafe, die eher ihr Geschäft im Sinn haben als die Hunde. Nicht selten bildet sich rund um eine Tierschutz-Organisation eine ganze Industrie. Sie kooperieren mit Hundetrainern, Ernährungsberatern, Tierärzten, Physiotherapeuten, Hundefriseuren und anderen Geschäften zusammen. Nicht selten rückt der Hund dabei aus dem Fokus und das Geschäft gewinnt Priorität. Ja, einige Tierschutz-Organisationen arbeiten sogar mit illegalen Tierhändlern zusammen. Aber alle unter einen Generalverdacht zu stellen ist mehr als unfair. Zumal sich mancher Besucher an der eigenen Nase packen sollte, vor allem wenn er sich so informiert hat, wie das anfangs erwähnte Beispiel-Pärchen. Es reicht halt nicht zu wissen, dass ein Hund vier Beine hat und ein Fell (zumindest die meisten Rassen), um ihm ein artgerechtes Leben bieten zu können.
Chantal sucht ein Zuhause
Chantal wurde aufgrund ihrer Unverträglichkeit abgegeben. Im Tierheim Düsseldorf wird mit ihr zusammen mit einer Hundetrainerin trainiert und sie macht sich seitdem super. Es wird für sie daher ein erfahrener Hundehalter gesucht. Die etwa 4,5 Jahre alte Doggen-Mischlingshündin wiegt ca. 50 Kilo und ist kastriert. Sie ist unheimlich verschmust und menschenbezogen. Aufgrund einer bereits operierten Ellenbogendysplasie sollte Chantals neues Zuhause ebenerdig sein. Sie kann alleine bleiben, ist stubenrein und auch im Auto zu fahren, bereitet ihr keinerlei Probleme.Training mit Chantal |
Anmk.: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 08/2017; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Tierheime sind genauso unperfekt wie Hunde und Menschen, sie aber unter Generalverdacht zu stellen ist unfair
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