Dienstag, 18. Mai 2021

Tiere haben ein Recht auf Hilfe!

Was, wenn man dabei gegen das Gesetz verstößt?

Sie brechen in Wohnungen und Stallungen ein, retten Tiere aus der Not und brechen damit regelmäßig Gesetze: Radikale Tierschützer bewegen sich immer in einer dunkelgrauen Zone – ihnen ist das Wohl des Tieres wichtiger als das Einhalten von Gesetzen. Für manche sind sie ­Verbrecher, für andere wiederum Helden.

Eine Gänsehaut überzog mich, ein Kloß im Hals, der mir die Kehle förmlich zuschnürte, bildete sich und die Wut im Bauch stand kurz vor der Explosion. Im Laderaum des Autos waren diverse Boxen und darin Hunde in einem erbärmlichen Zustand: verwahrlost, verdreckt, verletzt. In einer Box fiepten völlig unterernährte Welpen, in einer anderen wimmerte ein an der Pfote verletzter Hund, dessen Fell am Hals vom Kettentragen schon ausgefallen war. Da war ein alter, blinder, zitternder Hund, ebenso wie eine Hündin mit sehr großen Zitzen – ich vermutete sofort, dass sie schon einige Welpen geworfen hatte. „Ja stimmt, dabei ist sie gerade mal 3 Jahre alt“, sagt Bernd (Name wurde geändert, das war die Bedingung: keine Namen, keine Fotos, selbst das Handy musste ich im Auto lassen) – denn Bernd ist ein „radikaler Tierschützer“, den ich über verschlungene Pfade aus meiner etwas „wilderen“ Jugend kannte (wir berichteten in unserem Blog GASSIREPORT über dieses Zusammentreffen: „Radikale Tierschützer – Verbrecher oder Helden?“).

Auch Tiere haben ein Recht darauf, dass ihnen geholfen wird!
Foto: Lutz Borger

Das Erste, was an ihm auffällt, sind seine riesigen Pranken. Da stand er vor mir, in etwa mit den Ausmaßen eines großen Kühlschrankes. Einer von diesen amerikanischen Kühlschränken – die Amis neigen ja bekanntlich ein wenig zur Gigantomanie. Er wirkt etwas grobschlächtig. Sein Händedruck ist fest, was viele ja mit Charakter verbinden, andere wiederum darin nur die Angabe mit der Körperkraft sehen. Egal, ich bin aus einem bestimmten Grund hier, und wenn es der Recherche dient und er sich dadurch „sicherer“ fühlt, kann er meinetwegen auch angeben.

Immer wieder bricht Bernd irgendwo ein und „befreit“ misshandelte Tiere – so sieht er es. Doch juristisch gesehen begeht er damit auch eine Straftat. Gleich mehrere Paragrafen des Strafgesetzbuches (StGB) könnten hier greifen, wie beispielsweise § 123, 242, 243,244, 246 oder 303. Denn zunächst ist es ja Einbruch und die Aneignung von fremdem Eigentum, nicht selten mit Sachbeschädigung. Jedoch gelten Tiere – anders wie viele vermuten und es auch immer gerne in den Sozialen Medien gern falsch verbreiten – nicht als Sache. ­Dieser Mythos hält sich auch deswegen hartnäckig, weil häufig Gesetze über „Sachen“ zur Anwendung kommen, was aber nicht bedeutet, dass juristisch gesehen Tiere als Gegenstände zu sehen sind! In § 90a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) steht: „Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere ­Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.“ In Österreich ­findet sich in § 285a ABGB eine gleichlautende Regelung, so die auf Tierrecht spezialisierte Rechtsanwältin Dr. Susanne Chyba.
Chyba weiter: „Seit 2013 ist in Österreich Tierschutz als Staatsziel verfassungsrechtlich verankert. § 2 BVG Nachhaltigkeit lautet: ‚Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zum Tierschutz.‘ Erfasst ist aber nur der ‚Individualtierschutz‘, d.h. der Schutz des einzelnen Tiers.“
 

Susan Beaucamp
Foto: Kanzlei
Bereits seit 2002 steht der Tierschutz in Deutschland als Staatsziel sogar im Grundgesetz (siehe GG 20a). „Mit der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel im GG ist er als hohes Rechtsgut anerkannt“, sagt die auf Tierrecht spezialisierte Anwältin Susan Beaucamp. Wohl auch deswegen entschied das Landgericht Magdeburg am 11. Oktober 2017: „Das Eindringen von Mitgliedern einer Tierschutzorganisation in die Stallungen einer Tierzuchtanlage, um dort Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung mit Foto- und Filmaufnahmen zu dokumentieren und anschließend die Öffentlichkeit zu informieren und bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen, kann als Nothilfe gemäß § 32 StGB und aufgrund eines Notstandes gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sein. Denn Tiere sind als nothilfefähig und der Tierschutz als notstandsfähiges Rechtsgut anzusehen“, berichtet der auf Tierrecht spezialisierte Anwalt Andreas Ackenheil (Autor des Buches „Ihr Recht rund ums Haustier“). Dr. Susanne Chyba zur Situation in Österreich: „Eine vergleichbare Entscheidung ist in Österreich noch nicht bekannt. Einer der berühmtesten Strafprozesse zu diesem Thema ist jedoch der sogenannte „Wiener Neustädter Tierschützerprozess“ vor dem Landesgericht Wiener Neustadt, der 2006 mit dem Ermittlungsverfahren begann und für alle 13 Aktivisten 2011 mit einem Freispruch u.a. vom Vorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Organisation endete.“ Das Brechen von anderen Gesetzen kann also im Einzelfall durch Nothilfe gerechtfertigt sein. Außerdem ergänzt Ackenheil: „Daneben wird durch § 1 TierSchG auch das im Mitgefühl für Tiere sich äußernde menschliche Empfinden mitgeschützt und im Ergebnis muss daher gegen Tierquälerei Nothilfe zulässig sein.“
 

Andreas Acknheil
Foto: Kanzlei


Das ist nun aber kein Freifahrtschein für Selbstjustiz: „Wer tierschutzwidrige Haltungszustände feststellt, dem ist grundsätzlich nicht erlaubt, im Wege der Selbsthilfe für Abhilfe zu sorgen. Dies dürfen regelmäßig nur die Ordnungsbehörden (Veterinärämter) oder bei Gefahr in Verzug auch die Polizei“, erklärt Ackenheil.

Dr. Susanne Chyba über einen Fall in Österreich: „Bemerkenswert ist die Entscheidung des LG St. Pölten aus dem Jahr 2004, in dem ein Tierschützer, der 7 Hühner aus einer Legebatterie entführt hatte, im Berufungsverfahren vom Vorwurf der Unterschlagung freigesprochen wurde. Das Berufungsgericht konnte zwar weder einen rechtfertigenden noch einen entschuldigenden Notstand im Sinne des § 10 StGB erkennen, da es den gegenständlichen Eingriff des Mannes nicht als das einzige Mittel zur Abwehr des drohenden Nachteils wertete. Das Gericht führte aber aus, dass im Rahmen der gesetzlichen Änderung des Tierschutzes ein Umdenken aller zu erwarten sei und es könne daher nicht a priori gesagt werden, dass eine Meldung bzw. Anzeige bei den Sicherheitsbehörden erfolglos geblieben und das Eingreifen der Behörde zu spät gekommen wäre. Das Berufungsgericht fand die Tat aber für nicht strafwürdig im Sinne des damals geltenden § 42 StGB, da sowohl die Schuld des Täters als auch die Folgen der Tat gering (der Schaden betrug nur 15 Euro) seien. Überdies erschien dem Berufungsgericht die Strafe nicht geboten, um den Täter oder andere von ähnlichen Delikten abzuhalten. Eine gleiche Entscheidung kann es aber auf Grund der Änderung des StGB nicht mehr geben.“

Aber was muss man als Normalsterblicher beachten, wenn man einem Tier in akuter Not helfen will? „Sofern man einem Hund helfen will, der misshandelt wird oder z.B. im Auto bei Hitze eingeschlossen ist, muss man sich vergewissern, dass es kein anderes Mittel gibt ihm zu helfen als eine Straftat zu begehen. Im Kopf sollte man durchgehen, was es für Möglichkeiten gibt. Den Halter des Wagens ausrufen lassen oder die Polizei verständigen. Erst wenn dafür wirklich keine Zeit mehr bleibt, sollte anderweitig gehandelt werden. Bestenfalls sollte man dokumentieren, wie der Zustand des Tieres ist. Im heutigen Zeitalter der Smartphones, die alle eine Kamera haben, sollte das leicht möglich sein. Ebenso ist es wichtig, vielleicht Zeugen zu finden, die die missliche Lage des Tieres ebenso beobachtet haben und später dies vor der Polizei aussagen. Wird ein Hund in der Nachbarschaft misshandelt, sollte das Veterinäramt eingeschaltet werden. Vorher sollte keine Aktion getätigt werden, den Hund auf eigene Faust zu retten“, sagt Beaucamp.

Das hilft zwar nicht gegen eine Anzeige, aber die Beweise können in einem etwaigen Prozess dann für den Tierretter sprechen, meint Ackenheil: „Gegen eine Anzeige kann man sich zunächst nicht schützen. Diese wird meist vom Hundehalter oder Fahrzeugführer/-halter gestellt. Die Anzeige erfolgt meist wegen Sachbeschädigung am Fahrzeug. Die Kfz-Haftpflichtversicherung greift nicht ein, da der Fahrzeugführer nicht beim Betrieb des Kfz einen Schaden verursacht hat. Die eigene Haftpflichtversicherung des Tierretters greift nicht, da er die Scheibe vorsätzlich eingeschlagen hat und vorsätzliches Verhalten nicht unter den Versicherungsschutz fällt. Dennoch wird ein Strafrichter meist das Verhalten des Tierretters als gerechtfertigt ansehen, so dass eine Bestrafung aus der Anzeige nicht erfolgen sollte. Der Tierhalter bzw. Fahrzeugführer /-halter kann jedoch gegen den Tierretter zivilrechtlich seinen entstandenen Schaden am Fahrzeug sowie gegebenenfalls auch die entstandenen Tierarztkosten der Tierrettung geltend machen. Dies folgt meist über § 823 BGB, bei dem jedoch erneut die Rechtfertigung des Handelns zu berücksichtigen ist. Insoweit sollte daher ein Gericht den Tierretter auch hierbei nicht verurteilen.“

So groß auch das moralische Verständnis sein mag, so sehr sollte man sich aber auch juristisch absichern – denn Selbstjustiz ist sicherlich keine Lösung in einer zivilisierten Gesellschaft. „Ich achte immer darauf, dass möglichst wenig kaputt geht und dokumentiere immer alles mit Videos, Fotos und Datum. Manchmal lasse ich auch Geld da, falls ich mal ein Schloss aufbrechen oder eine Scheibe einschlagen musste – ich will ja niemandem schaden, sondern nur dem Tier helfen“, sagt Bernd.



 

Anmk.: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 05/2018; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Wir Tiere haben ein Recht auf Hilfe!

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