Die Leine ist für mich mehr als nur eine gesetzliche Pflicht, sie ist ein Kommunikationsmittel. Und wie es die Natur der Kommunikation ist, sollte sie auch keine Einbahnstraße sein. Doch viel zu oft erleben wir auf unseren Gassirunden, dass die Leute damit nur Signale senden. Da ist ein Ruckeln und ein Zuppeln, ein Ziehen und Zerren. Nicht selten sind dies negative Signale, weiß Perdita Lübbe von der Hunde-Akademie: „Leider dient die Leine viel zu oft als Mittel im negativen Sinne, um zu strafen oder von etwas abzuhalten. Doch die Leine sollte stattdessen immer positiv belegt sein und nie ätzend für den Hund. Denn sie gibt ihm Sicherheit, Stabilität und Orientierung. Beispielsweise freuen sich meine Hunde, wenn ich die Leine in der Hand habe, und wollen angeleint werden, denn sie wissen: Hier bin ich geschützt.“
Lockeres Gassigehen - Hund und Mensch verbunden über die Leine |
Für mich ist sie daher gar nicht mal so wichtig als Signalsender, viel wichtiger ist sie für mich als Signalempfänger. Vergleichbar mit einem Telegrafendraht. Denn die Signale, die Rico mir darüber sendet, geben mir ganz neue Informationen – und das auf eine sehr subtile, unauffällige, ja beinahe schon intime Art (so im Vergleich zum „dezenten“) Molosser-Stupser oder -Bodycheck) – denn diese Signale bekommt ja kein anderer mit, außer mir. Und das sind nicht nur seine Bedürfnisse und Wünsche! So manche Skurrilität wäre mir andernfalls entgangen, an der ich wohl achtlos vorbeigegangen wäre – und mit ein wenig Fantasie können der im Baum hängende Schnuller, die pfleglich zusammengestellten Damenschuhe auf dem Bürgersteig, die Ente auf dem Autodach ganz schön inspirierend wirken, auf jeden Fall aber zu einem Lächeln bringen. Okay, zugegeben, beim Fund eines Schafhaufens hört meine Inspiration dann auf, dafür fängt die von Doggen-Wookie Rico erst an – wenn er sich reinwirft und darin wälzt…
Leinentraining mal anders: Sich mal selber an der Leine führen lassen |
Das hilft nicht nur die Kraft einzuschätzen, die auf so eine Leine wirkt – so mancher merkt erst da, was für eine Wucht hinter einem „leichten Leinenruck“ stecken kann. Außerdem: So ein Perspektivenwechsel ist mehr als nur lehrreich. Es ist ein empathisches Erlebnis, welches das Verständnis füreinander fördert. „Ein Perspektivenwechsel kann mehr als nur die Augen öffnen, er eröffnet dem Halter eine ganz neue Welt der Kommunikation mit seinem Hund. Wer die Leine nur als Signalgeber benutzt, der beschränkt seine Kommunikation mit seinem Vierbeiner. Denn jede Bewegung und viele Körpersignale werden über die Leine in Richtung Mensch übertragen – man muss nur offen sein, diese Signale zu empfangen“, weiß Wilfried Theißen von derhundehaltercoach.de.
Erst wendet sich der Köpf, dann die Körperachse und mit leichtem Zug, zeigt Rico wohin er gern möchte... |
Statt die Leine also als nötiges Übel oder gar als Einschränkung der Freiheit zu sehen, sollten wir Zweibeiner sie vielleicht eher positiv besetzen. Der direkte Draht zu unseren Hunden, ja quasi eine Kommunikations-Nabelschnur. Falls das mit dem positiven Besetzen der Leine Schwierigkeiten macht, so wissen ja Hundehalter, wie sie sich dazu konditionieren können… 🙂
Beim Mantrailing übernimmt der Hund die "Führung"... |
Also so weit sind wir – oder besser gesagt: ich nicht. Denn ich bin überzeugt, dass mein Döggelchen Rico da mehr spürt als ich. Uns Zweibeinern fehlt es ja zuweilen doch an „hündischer Sensibilität“…
Anmk.: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 09/2017; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Die Leine als "direkter Draht"
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