Samstag, 25. Mai 2019

Qualzucht und ­Operationen

Ist das noch wahre Freundschaft?


Der Mops gehört zu den Rassen, die besonders unter der Qualzucht zu leiden haben
Foto: Eszter Hornyai by pixabay
Irgendwas stimmt nicht – und zwar ganz und gar nicht! Alarmglocken klingeln, ausgelöst durch Rico. Seine Schritte wirken konzentrierter, seine Kopfhaltung ­lauernder, sein Schnüffeln ­intensiver, sein Blick klarer fokussiert. Als ­Cerebral-Interface meines Hundes funktioniert die Signalübertragung zum Glück in beide Richtungen. Dank der deutlichen Vorwarnung meines ­vierbeinigen Kumpels und um den Überraschungseffekt weiter zu minimieren, schaue ich mich um. Das mache ich als rücksichtsvoller Hundehalter so, aber auch aus purem Eigennutz. Jeder, der einmal 40 oder mehr Kilogramm wildgewordenen Molosser an der Leine hatte, versteht mich. Die sind in ihrem Dickschädel eh schon schwer zu bändigen und mit Überraschungseffekt – noch dazu von so einem akrobatischen Talent wie meinem Rico (er ist dann so eine seltsame Mischung zwischen Bud Spencer und Bruce Lee) – nahezu ­unaufhaltsam. Doch ich kann nichts entdecken. Sicher hat er irgendwas gerochen, wahrscheinlich eine ­andere Fellnase. Da haben die Hunde uns ­Menschen gegenüber ja die Nase weit vorn.

Aber da muss mehr sein, irgendetwas passt ihm nicht. Sein Nackenfell sträubt sich. Okay, das ist so mindestens Alarmstufe 3 – je nachdem, wie doll es sich aufrichtet und wie breit, kann es auch zur Stufe 2 übergehen … dann zieht es sich schon am Rücken entlang. Erreicht es dann den Rutenansatz, also Alarmstufe 1, versucht sich Rico als canide Form eines Kugelfisches. Der Hund von Welt hat ja schließlich diverse Meeresdokus im TV gesehen (Rico mag übrigens Delfine). Doch was versetzt meinen Fellfreund so in Rage? Auf den Wettkampf der Nasen lasse ich mich gar nicht ein, da ist er mir haushoch überlegen (während mein Riechzentrum die Größe einer Briefmarke hat, ist seines DIN A4 groß). Doch ich kann nichts sehen und auch nichts hören. Wir biegen um die Ecke – zum Glück war ich vorbereitet!


🐶 Was kommt denn da seltsam röchelnd? *fellsträub* (rico)

Denn da stürmt uns ein röchelnder kleiner Französischer Bulldog zu. Die Nase als kleiner Knopf eingebettet in Falten irgendwo zwischen den Augen. Das Ringelschwänzchen zuckt mit den wippenden Bewegungen des Hinterteils. Die großen starren Kugelaugen blicken uns an. Keine Ahnung, ob uns der nun freundlich, ängstlich oder aggressiv entgegenkommt. Ich verstehe seine ­Körpersignale nicht. Naja, ich spreche aber vielleicht auch nicht gut genug die Hundesprache. Ein Blick zu Rico sagt mir jedoch, dass er den Dialekt auch nicht so recht versteht. Wie denn auch? So mit fester Mimik, ohne Schwanz, dann noch dieses röchelnde Geräusch. Letzteres hat Rico auch in Unmut versetzt, hat er es doch lange vor mir gehört. Also antwortet Rico damit, was dem – nach seiner cani-logischen Denke – am ähnlichsten kam. Und das ist in seinen Augen: Knurren!

So weit hat es der Mensch schon geschafft, so weit hat er den biblischen Auftrag umgesetzt, sich die Welt untertan gemacht, dass selbst Artgenossen sich nicht mehr verstehen. Durch Qualzucht erfüllen Hunde zwar die Kriterien von Schiedsrichtern und sammeln so Preise. Ein hundegerechtes Leben oder überhaupt ein beschwerdefreies Leben ist ihnen aber nicht mehr vergönnt. Denn ohne Rute, mit unbeweglicher Mimik, Atemwegen, die nur ein ­scharrendes Röcheln erlauben, so versteht sie kein anderer Hund (es sei denn, er ist mit ihnen aufgewachsen).


Aber auch andere Rassen sind von Qualzucht betroffen! Als Beispiel sei nur
der Deutsche Schäferhund mit seinem stark abfallenden Hinterteil genannt...
Die Tierkliniken sind gut gebucht und regelmäßig frequentiert mit diesen kranken Zuchttieren. Denn nicht selten müssen diese „erwünschten Fehlbildungen“ dann chirurgisch korrigiert werden, was der Mensch durch Zucht verhundst hat. Ja mehr noch, der neueste Trend in den USA ist die Schönheitschirurgie für Haustiere. Ganze 3,3 Milliarden US-Dollar werden jährlich dafür ausgegeben. Ja, sogar für Fettabsaugung. Da werden unsere ältesten Freunde erst gemästet und/oder zu wenig bewegt und dann wird ihnen der körperliche und psychische Stress einer OP angetan, um das zu korrigieren, was wir ihnen antaten: zu viel Leckerlis, zu wenig artgerechte Bewegung. Und wer weiß: Vielleicht erleben wir ja nach den Designer-Hunden bald die Frankenstein-Hunde …

Seit einiger Zeit regt sich der Widerstand: immer mehr Züchter versuchen sich an Rückzüchtungen, wo die Gesundheit im Vordergrund steht und nicht irgendwelche Standards (z.B. Retromops oder Continental Bulldog). Und selbst auf Facebook sammeln sich die Gegner, so beispielsweise in der Gruppe „Schluss jetzt, VDH! – Uns reicht‘s!“. Denn schließlich tun sich das wahre Freunde ja nicht an – und immerhin ist der Hund der älteste Freund des Menschen.

Den Qualzuchtrassen wurden ihre Kommunikationsmittel genommen. Es versteht sie keiner mehr, nicht einmal ihre Artgenossen. In etwa stelle ich mir das so vor, als ob man uns Menschen die Zunge entfernt, die Augen verbindet, das Gesicht mit Botox lähmt und uns in eine Zwangsjacke steckt. Als gelegentlicher Partygag, so als Scharade, mag das sicher lustig sein. Aber so leben? Doch genau so züchtet der Mensch und lässt sich dafür auf Ausstellungen noch feiern. Bleibt zu hoffen, dass nicht irgendwelche Menschen auf die Idee kommen, unseren caniden Freunden die Lippen oder das Hinterteil mit Silikon aufzuspritzen. Auf die dann folgenden Kommunikationsstörungen zwischen Hunden bin ich nicht wirklich gespannt – vor allem nicht, wenn mich der kleine wilde Molosser überrascht. Seiner deutlichen Körpersprache sei Dank! Was kümmern mich da fehlende Pokale, wenn ich dafür meinen Hund ver­stehe … naja, meistens jedenfalls 😉


Anmk.: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 05/2016; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Der Frankenstein-Hund.


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Sonntag, 5. Mai 2019

[Buchvorstellung] "Die Welt der Gerüche" von Frank Rosell eröffnet Einblicke in die dem Menschen unbekannte Wahrnehmung unserer Hunde

Die regelmäßigen Leser unseres Blogs wissen ja, wie sehr mich die Geruchswahrnehmung unserer Hunde interessiert (eine Auswahl an Links zu Artikeln findet ihr am Ende dieses Beitrages). Denn durch mein Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft weiß ich, wie wichtig die individuelle Realitätskonstruktion für das gegenseitige Verstehen und somit auch Verständnis ist. Dieses Verständnis für die Realitätskonstruktion ist essentiell wichtig für die Kommunikation. Was bei uns Menschen schon schwierig ist, stößt bei unseren Hunden auf nahezu unüberwindliche Hindernisse wegen unserer physischen Unzulänglichkeit in der Hinsicht. Nur ein Beispiel: Während der Wahrnehmungsraum was Gerüche angeht beim Menschen in etwa die Größe eines Schuhkartons hat, liegt er bei unseren Fellfreunden in der Größenordnung einer Lagerhalle.



Umso mehr sind wir 2-Beiner daher auf theoretische Informationen angewiesen, die unsere Vorstellungskraft (quasi eine Form der "Geruchs-Empathie" wie der von mir bereits mal in WUFF - Das Hundemagazin beschriebene "Odorisations"-Blick) inspirieren und so unser Verständnis vergrößern. Ein hierfür wirklich empfehlenswertes Buch ist *Die Welt der Gerüche von Prof. Dr. Frank Rosell (336 Seiten, Kynos-Verlag). 
Prof. Dr. Frank Rosell
Foto: Elisabeth Berge

In verständlicher Sprache, mit vielen, unterhaltenden Geschichten gespickt, führt der Verhaltensbiologe den Leser in diese für uns fremde Wahrnehmungswelt ein. Daher eignet es sich auch für den Anfänger. Aber Profis werden es gern als Nachschlagewerk schätzen und zur Auffrischung ihres Wissens nutzen - und wohl auch die ein oder andere für sie neue Info finden. Besonders gut gefallen mir die zahlreichen Quellenangaben und die Bibliographie, zwecks weiterer, vertiefender Recherche.


Als ich das Buch das 1. Mal in Händen war, war ich zugegebenermaßen skeptisch als ich ins Inhaltsverzeichnis schaute: Wegen der späteren Kapitelkategorisierung nach Aufgabengebieten (ab Kapitel 4) dachte ich, ob sich da nicht viele Otto-Normal-Hundehalter nicht angesprochen oder gar abgeschreckt fühlen? Ich hoffe jedenfalls nicht, denn viele der dort beschriebenen Infos lassen sich auch auf unsere Fellfreunde übertragen, die jetzt keine Arbeitsaufgabe haben oder für die Hobby-Sportler. Doch auch diejenigen, deren Hund als Profi-Spürnase tätig ist, sollte nicht nur das Kapitel lesen, in das sein Hund fällt (z.B. der Rettungshund, der Jagdhund, der Polizeihund, der Zollhund), sondern auch die anderen Kapitel, die der Überschrift nach zu urteilen vielleicht nichts mit dem Aufgabengebiet des eigenen Hundes zu tun haben. Denn das wäre meiner Meinung nach ein großer Fehler, weil man dort ebenfalls zahlreiche Infos findet, die auch für andere Arbeitsgebiete hilfreich sind.

So ganz nebenbei lernen die Leser aber nicht nur viel über den Geruchssinn und seine Einsatzmöglichkeiten, sondern auch viele zahlreichen Details zur Geschichte unserer Hunde und ihrer Domestizierung. Alles in allem also ein Buch, dass unser Verständnis für den besten und ältesten Freund des Menschen, sowie er seine Umwelt wahrnimmt, fördert.

Weitere "Geruchs-Artikel" 😉






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