Sonntag, 28. Juli 2019

Partner oder Bodyguard?

Der falsch verstandene Beschützer


Gefahr im Verzug? Ricos Kopf pendelt hin und her. Seine Nasenflügel vibrieren im schnellen Rhythmus, öfter als sonst schnaubt er. Teils um seine Nase wieder frei für neue Geruchsmoleküle zu bekommen, teils aber auch aus ­Unwillen. Bei jedem Schritt kommen seine Schulterblätter hervor, wie bei einem lauern­den Tiger. Ganz klar: Irgendwas ist anders an dieser morgendlichen Gassi­runde. Irgendwas, das meinem Rico gegen den Strich geht – sein Nackenhaar sträubt sich, Alarmstufe Rot.

Auch weniger subtile Signale gibt mir mein kleiner Doggen-Wookie: beispielsweise häufigeres Markieren als sonst (ohne das Klappern oder Sabbern, das auf eine leckere Hündin schließen lässt) oder das energische Scharren danach. All das sagt mir, neue Hunde sind hier in seinem Revier. Und nicht irgendwelche Hunde, sondern ­welche, deren Geruchszusammensetzung offenbar meinem Döggelchen missfällt (was eigentlich recht selten vorkommt und wohl auch von der Gemütslage des anderen Hundes abhängt, die können unsere Fellfreunde nämlich erriechen).

Bild von skeeze auf Pixabay

Schon an der nächsten Ecke sehen wir auch einen. Einen Schäferhund mit ­imposanter Erscheinung, der sich sogleich aufbaut. Steif steht er da, Fixierung gleich mit eingeschlossen. Und weil heute Provokation gerade im Sonderangebot zu sein scheint, bellt er sogleich los. Man ist ja schließlich Schäferhund 😉

Zeitgleich mit dem Bellen hat Rico schon sein Fell weiter gesträubt. Vom Nacken bis zum Hinterteil. Klarer Fall für Alarmstufe 1. Ich sage noch „Nein“, aber leider dauert die Aussprache eines Wortes Zeit. Und die reicht meinem athletischen Doggen-Wookie völlig aus: Er hält sich gar nicht mit Imponier­gehabe auf, statt dessen bäumt er sich auf, steht auf den Hinterbeinen und bellt mit seinem Bass-Wuff zurück. Ein Weitergehen ist für den Schäfi-Halter nicht mehr möglich. Denn am anderen Ende der Leine hängt ein zwar attraktives, aber völlig überfordertes zartes Frauchen von schätzungsweise 50 Kilo auf Stöckelschuhen...

In den folgenden Tagen trafen wir sie öfters. Wirklich im Griff hatte sie ihren Hund nie. Und plötzlich mehrten sich solche Begegnungen auch mit Anderen. Beispielsweise eine andere Nachbarin, diesmal mit einem Rottweiler an der Roll-Leine. Der reagierte zwar freund­licher als der Schäfi, aber dafür hörte er auf seine Halterin nicht im geringsten. Ein anderes Mal war es ein Herrchen, der seinen Dogo Argentino nur dadurch in den Griff bekam, dass er die Leine um den Baum wickelte. Und die folgende Ridgeback-Dame ging eher mit ihrer minderjährigen Halterin spazieren und nicht umgekehrt.

Auch eine Bekannte aus dem Viertel war darunter. Sie hat sich einen recht großen Mischling aus dem Tierheim zugelegt. Wir kamen ins Gespräch und eine Sache ließ mich aufhorchen: „Naja, auch zur Sicherheit ist ja so ein großer Hund gar nicht mal so übel für eine Frau wie mich. Es passieren ja immer mehr beängstigende Sachen.“

Ist das etwa ein neuer Trend? Der Hund statt Tränengas? Hatten die ­Übergriffe in der Silvesternacht in Köln dazu geführt, dass einige aus der „Armlänge Abstand“ eine „Leinenlänge“ machen wollten? Nun bin ich von Natur aus, aber auch aus beruflicher Erfahrung ja skeptisch gegenüber meinen subjektiven Be­obachtungen. Doch dann berichtete mir Wilfried ­Theißen von „derhunde­haltercoach“, dass er immer mehr An­fragen hat, dem Hund „Fass!“ beizubringen: „Die hab‘ ich dann erst mal über die rechtliche Situation aufgeklärt“, sagt er. Und die sieht folgendermaßen aus: In dem Moment, wo ein Halter einen wie auch immer kodifizierten Befehl gibt (dem Hund ist es ja egal, ob er bei „Fass!“ oder „Sing!“ zubeißen soll), nutzt er seinen Hund quasi als Waffe. Das Ganze bekommt so also eine strafrechtliche Komponente!

Auch der in der Szene bekannte Normen Mrozinski berichtete in Facebook über solche Erfahrungen. Und Ähn­liches erzählten uns auch Sabine und Klaus Haumann von „Canis Familiaris“. Außerdem bemerkten sie: „Wir beobachten, dass seit einiger Zeit bei den derzeit beliebten Hunderassen wie Weimaraner oder Ridgebacks wieder deren „Mannschärfe“ betont wird. Einige schienen damit geradezu zu werben, während das in der Vergangenheit gern mal verharmlost und eher die Familientauglichkeit betont wurde.“.

Ist das nun die neue Aufgabe, die wir unseren Hunden stellen? Als Ersatz für Tränengas? Oder als billige Alternative zu einem Bodyguard? Leute, der Hund ist unser PARTNER! Ja mehr noch, wir sind, eine gute Beziehung vorausgesetzt, eh das Zentrum seines Universums. Wenn jemand seinen Menschen angreift, dann würde (fast) jeder Hund ­seinen ­Halter automatisch verteidigen. Und jeder verantwortungsbewusste Halter sollte ihn davon besser abhalten! Nicht nur zum Schutz des Menschenlebens, auch zum Schutz des eigenen Hundes. Denn schnell drohen da ­Gefahren wie lebenslange Maulkorbpflicht oder das Verbot der Hundehaltung (womit der Hund dann ins Tierheim kommt und dank des Vorfalls wohl zu den schwerer zu vermittelnden gehört), oder vielleicht sogar das Einschläfern des Hundes. Mal ehrlich: Würdet ihr euren menschlichen Freunden denn auch beibringen, auf Befehl anzugreifen, oder spendiert ihr denen einen Selbstverteidigungs-Kurs? Wohl wissend, dass ihnen dann Knast droht?!

Meine Befürchtung ist, dass wir in Zukunft dadurch steigende Beißvorfälle bekommen. Und als Folge davon kommt erst die Medienhysterie und dann die populistischen Politiker mit ­schärferen Gesetzen wie Maulkorbpflicht und ­Leinenzwang – dann für ALLE Hunde.

Vor allen Dingen hüten sollten sich Halter vor dubiosen Anbietern! Nicht umsonst ist in Deutschland diese Aus­bildung genehmigungspflichtig. Denn ein schlecht ausgebildeter, scharf gemachter Hund kann im Zweifelsfall eher zur ­Gefahr werden – auch für den Halter! Wohl dem, der dann doch ­Pfefferspray in der Tasche hat...


Anmk: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 07/2016; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Unsicherheit ist der denkbar schlechteste Grund, sich einen Hund anzuschaffen.


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