Freitag, 16. August 2019

Hunde sind sehr gute Lehrmeister - Interview mit Günther Bloch

Interview mit Günther Bloch

Dieses Mal führte unsere Gassirunde uns in die Eifel. Denn dort hatten Rico und ich einen ganz besonderen Termin: mit einem der renommiertesten Kynologen – Günther Bloch. Nach einer kleinen Runde an der nahen Erft war es so weit und wir trafen ihn. Günther Bloch spricht ungeniert aus, was viele denken, aber nicht zu sagen wagen …

Bevor sich Günther Bloch unseren Fragen stellte, musste Rico ihn natürlich beschnüffeln. Nur sehr selten stellte sich ihm jemand so hunde-höflich vor, so souverän und ruhig – schon daran erkennt man die immense Erfahrung von Günther Bloch. Rico war jedenfalls ganz begeistert von ihm – vor allem von seiner Jacke. Daran schnüffelte mein kleiner Doggen-Wookiee ganz besonders intensiv. Wahrscheinlich hatte die Jacke schon mehr Hunde und Wölfe gesehen als mein Rico (und auch ich) in seinem bisherigen Leben …



Während des Interviews passte das Döggelchen Rico auf
Foto: Ira Prettycloud

Das Interview

Du forschst ja schon fast eine Ewigkeit über Wölfe. Nun kritisieren ja einige, dass nicht alles vom Wolf auf den Hund übertragbar sei. Wie stehst du zu dieser Kritik? Und wie viel kann man auf den Hund transferieren?

Ich forsche seit 1992 an frei lebenden ­Wölfen. Zum Thema Vergleich: Denn wollten wir es richtig machen, ­müssten wir jede einzelne Hunderasse mit dem Wolf vergleichen, um zu präzisen Ergebnissen zu kommen. Ansonsten sprechen wir von Basiswerten. Und diese Nullwerte könnten wir dann für weitere wissenschaftliche Vergleiche heranziehen. Immerhin sind ja nicht alle Rassen gleich, so sind die so genannten „nordischen Hunde“ meist näher am ­Wolfsverhalten dran als beispielsweise Möpse oder ­Französische Bulldoggen.

Die von dir zuletzt Genannten sind ja auch wegen der Überzüchtung ins ­Gerede gekommen …


Sprich es ruhig aus: Qualzucht! Das kommt auch daher, weil die Kritiker zum Hundezuchtgeschehen immer mehr aussterben. Beispielsweise Dr. Hans Räber aus der Schweiz, oder der kürzlich verstorbene Genetiker Dr. Hellmuth Wachtel, der stets kritisch über Degenerationserscheinungen geschrieben hat. Und jüngere Forscher sind bisher nicht viele nachgewachsen. Ganz schlimm ist das Thema Qualzucht ja bei dieser neuen Mode der Hundeverzwergung: den Tea Cup Dogs. Die kannst du gar nicht mehr richtig auf Kinder oder Artgenossen sozialisieren.

Wieso nicht?

Alleine körperlich: Die kannst du doch mit keinen anderen Hunden spielen ­lassen. Die Knochen könnte doch selbst ein tollpatschiger Chihuahua brechen. Aber auch mit anderen Menschen geht das kaum: Nimm beispielsweise mal ­Kinder. Wie willst du denen erklären, dass sie mit dem Hund vorsichtiger spielen sollen als mit einer Porzellanpuppe?

Was ist denn das Hauptproblem bei der Zucht?

Meist ist es die viel zu kleine Population, der allseits bekannte genetische Flaschenhals. Daraus ergeben sich die meisten Degenerationserscheinungen und Krankheitsbilder. Das können auch charakterliche Auffälligkeiten sein, wie extreme Unsicherheit, Panik und Angstaggression.

Aber es gibt doch auch eine Gegenbewegung. Immer mehr setzen auf Retro-Zucht …

Ja klar, einigen ist es damit auch ernst. Aber viele wittern hier nur das nächste lukrative Geschäft. Auch diese ­Retro-Zucht verkommt bei einigen Züchtern zum Etikettenschwindel.

Du sprichst ja häufig im Zusammenhang mit Hunden über Rudel. Doch streng genommen ist der Begriff doch bei Hunden falsch, oder?

Ganz wissenschaftlich korrekt ist der Begriff Rudel ein wenig schwammig. Dennoch ist ein Rudel zunächst einmal laut Definition vieler Wissenschaftler wie beispielsweise Marc Bekoff eine Gruppe von Individuen, die gemeinsam wandert, schläft, ruht, nach Futter sucht oder jagt. Das passt also!

Günther Bloch und Rico
Foto: Ira Prettycloud
Und was macht dann eine gute „Rudelführung“ aus?

An erster Stelle steht da immer, einen Führungsanspruch und Verantwortung übernehmen. Im kollektiven Sinne für die Gruppe, aber auch individuell für jedes Mitglied. Ich muss Schutz und Geborgenheit bieten. Das ist formale ­Dominanz im richtig verstandenen Sinne.

Du hast in deinen Vorträgen Rudelführung des öfteren mit Moderation verglichen. Wie meintest du das?

Genau wie u.a. ein guter Moderator bei einem Gespräch ausgleichend wirkt, den Schüchternen öfter anspricht, den Übermütigen öfter bremst, so muss auch ein „Rudelführer“ ausgleichend wirken. Damit keine Spitzen aufkommen und Situationen eskalieren. Kurz gesagt: Er muss für Ruhe und Ordnung sorgen, für Berechenbarkeit und Einschätzbar­keit.

Du sprachst ja schon Modeerscheinun­gen in der Hundeszene an. Derzeit hört man auch immer öfter den Begriff ­„Problemhund“ oder Ähnliches. Du selber hast dem in deinem Buch „Der Mensch-Hund-Code“ ein Kapitel gewidmet. Ist das auch so eine Modeerscheinung?

Oh ja! Und sogar eine sehr schlimme! Denn damit lässt sich trefflich Geld verdienen. Streng genommen gibt es nämlich kaum Problemhunde. Der Hund hat beispielsweise kein Problem damit, wenn er einem Hasen nachjagt. Selbst wenn er aggressiv gestimmt ist, hat der Hund damit absolut kein Problem. Das ist für ihn sogar völlig normal! Hunde sind eben authentisch und kommunizieren auch aggressiv-gestimmt. Aber schnell werden solche biologisch sinnvollen Verhaltenstendenzen als Problem dargestellt. Und was braucht man dann? Eine Therapie! Und die lässt sich wunderbar verkaufen, wenn man den Leuten einredet, sie hätten einen Problemhund.



Aber es gibt doch Hunde mit Ver­haltensauffälligkeiten …

Ja, aber in vielen Fällen kommen die Leute oftmals mit dem eigenen ­Leben nicht mehr klar und stülpen ihre eigenen Unfähigkeiten auf den Hund. Daher bin ich ja auch für eine Sach­kundeprüfung für Hundehalter VOR dem Anschaffen eines Hundes. Und der Beruf des Hundetrainers sollte ein ­Lehrberuf werden – mit Theorie und Praxis.

Bei den vielen Denk- und Schulrichtungen, was Hundeerziehung angeht, wird das aber schwierig. Die haben sich doch schon untereinander immer in den Haaren bzw. im Fell. Wie willst du das realisieren?

Es müsste ein gewisser Grundkanon vermittelt werden. Der besteht eigentlich aus nur zwei Grundrichtungen: Erstens, dem verhaltenstherapeutisch-medizinischen Ansatz und zweitens, dem verhaltensbiologischen Ansatz, einschließlich genauer Kenntnisse zum hundlichen Ausdrucksverhalten. Die müssten beide gelehrt werden, damit alle Trainer ein einheitliches Rüstzeug hätten. Danach kann ja jeder sich spezialisieren. Das ist bei anderen Lehrberufen wie Schreiner, Kaufmann oder andere auch nicht anders. Und da sollte es auch keine Ausnahmen geben, wie jetzt.

Welche meinst du?

Na, die Hunde-Vereine, die bisher von der Regelung nach § 11 des Tierschutzgesetzes befreit sind und keine extra Erlaubnis brauchen, um Hunde zu trainieren. Nimm nur diejenigen, die oft noch mit ihren veralteten Methoden nach wie vor machen, was sie wollen. Viele davon sind sogar tierschutz­relevant, insofern macht die Ausnahme sogar keinen Sinn! Und wieso sind Tierärzte eigentlich in einer bevorzugten Position?

Und woran scheitert das deiner Ansicht nach?

Ach, vielen geht es doch gar nicht um den Hund, sondern nur ums Recht-­haben! Und oftmals ums eigene Portemonnaie! Das Ganze ist ja mittlerweile eine richtige Industrie geworden. Zu meiner Zeit als Kind gab es kaum Hundeschulen. Das Konkurrenzdenken ist bei vielen dermaßen groß und das Niveau so niedrig, dass sie sich den ganzen Tag lieber mit Diffamierungen und Verleumdungen beschäftigen als mit ihrem eigentlichen „angeblichen“ Beruf, dem des Hundetrainers. Und wer forscht noch? Zum Vergleich: Ich habe stets 25% meines Umsatzes für selbst finanzierte Freilandforschungsprojekte ausgegeben.

Günther Bloch hat viel Interessantes zu berichten: über Hunde, aber auch über die Hundeszene...
Foto: Ira Prettyclud

Sind das die Leute, die du in deinem Buch „Der Mensch-Hund-Code“ als Scharlatane bezeichnest?

Genau die meine ich! Die Idee kam mir zusammen mit einer Humanpsychologin. Wir wollten den Haltern ein gewisses Rüstzeug mitgeben, ihnen erklären, wie diese „antisozialen“ Personen denken und agieren. So wie ein psychologischer Kompass. Damit sie besser informiert sind, wie solche Leute halt ticken, und so nicht so leicht über den Leisten gezogen werden können.

Denn die Zeiten haben sich geändert: heute heißt es nicht mehr „im Zweifel für den Angeklagten“. In der Hundeszene gibt es derzeit so viele „antisoziale“ Auswüchse, dass man heutzutage besser zu vorsichtig ist und im Zweifel halt auch gegen den Angeklagten. Denn wir haben ja die Verantwortung für unsere Hunde, also müssen wir sie auch vor solchen Leuten beschützen. Aber auch uns selber, denn wenn der Halter verwirrt ist, ist es der Hund auch …


Du meinst wegen der Stimmungsübertragung?

Absolut! Ein Hund spürt das sofort und reagiert darauf. Und diese Leute machen die Halter auch verrückt. Viele sind absolut egoistisch, rücksichtslos, mit maximaler Profitorientierung und verfolgen einen rigorosen Plan. Den haben die meisten Hundehalter aber nicht, weswegen sie ihnen gegenüber schon im Nachteil sind. Die Halter sollten den Glauben ablegen, dass alle „Hundemenschen“ oder solche, die sich dafür ausgeben, ihnen nur was Gutes wollen. Dem ist nicht so.



Und was wünschst du dir von den ­Haltern? Da gibt es doch sicher auch was zu kritisieren?

Klar! Dass sie sich besser informieren! Am besten aus mehreren Quellen und VOR dem Hundekauf. Wir bieten beispielsweise seit 40 Jahren auf der Hundefarm Eifel eine kostenlose Beratung an. Doch die wird so gut wie kaum nachgefragt …

Doch am meisten wünschte ich mir, dass sie mehr beziehungsrelevante (!) Zeit mit ihrem Hund verbringen. Und nicht dabei noch am Handy hängen oder im Internet surfen. Der Hund ist unser Bindeglied zur Natur. Das sollten wir nutzen und genießen. Außerdem sollten Halter ihre Hunde genau beobachten. Aber auch das ganze Drumherum. Hunde sind sehr gute Lehrmeister!



Anmk: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 09/2016; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Was ist ein "Hunde-Interview"?.


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