Donnerstag, 5. März 2020

Gassi gegen Vorurteile

Das klappt nicht nur bei Hunden …

Wer kennt sie nicht, die Vorurteile gegen manche Hunde? Kurzhaarig, muskulös, vielleicht sogar noch gestromt? Damit sind alle Alarmzeichen erfüllt, damit die „selbst geBILDeten“ Vorurteile an den Tag kommen können. Die Mehrheit der Menschen wird von manchen Boulevard Medien bewusst verhetzt. Für die Auflage halt. Um jeden Preis. Hundehalter müssen die Sache selber in die Hand nehmen …

Kaum begegneten sie sich, wollten sie schon aufeinander los. Ganz schön heftig die Reaktion meines kleinen Doggen-Wookiees. Zähnefletschend, aufbäumend, sich kaum zurückhalten lassend (dabei lässt er sich in der Regel zwar widerwillig, aber doch recht verlässlich zurückrufen). Quasi Doggen-Chewbacca im Godzilla-Modus 🙂 Kommt in der Form ja nicht so oft vor bei meinem Döggelchen. Nicht weniger heftig war aber auch die Reaktion von Jackson. Alles klar, die beiden waren schon mal keine Freunde …

Jackson und Rico - anfangs gar nicht erfreut, wurden sie schnell Schnüffel-Kumpels
Foto: Der Papagraf

Was war los? Hatten die beiden etwa „Vorurteile“? In der Art wie wir Menschen wohl kaum. Viel wahrscheinlicher war die Ressourcenverteidigung – Rüden halt. Aber ein Urteil hatten sie jedenfalls über den jeweils anderen gefällt und die authentische Reaktion dazu gezeigt. Mit allem Rüden-Brimborium, was dazugehört – inklusive einer kleinen Sabber-Dusche für mich von ihrem Geifer.

Ganz unschuldig bin ich daran wohl nicht, denn ich und Jackson verstanden uns auf Anhieb. Klar, quasi canilogisch, dass die beiden aufeinander los wollten. Den Spaß und die Knuddeleien mit mir wollte Jackson weiter genießen, da war Rico für ihn natürlich ein Störfaktor; und der Doggen-Wookiee meldete seine Ansprüche an und zeigte sich mal von seiner unschönen Seite …

Jackson ist der Hund von Sandra M., einer Leserin und Bekannten von uns, er ist ein Staff-Boxer-Mix, ein so genannter „Listenhund“. Wie einige unserer Freunde und Bekannten muss auch sie oft gegen Vorurteile ankämpfen. Und zum Glück ist sie eine sehr gechillte und geduldige Hundehalterin – und das bezieht sich nicht nur auf ihren Hund! Sie erträgt diese Vorurteile gelassen. Ich vermute mal, sie ist wohl mittlerweile da auch abgehärtet. Wenn ich da nur an die Vorurteile gegenüber großen – und vor allem auch noch gestromten – Hunden denke, denen wir selber beinahe täglich ausgesetzt sind. Aber immerhin haben wir nicht das Stigma einer „Liste“.

Egal ob groß oder klein - es sind alles Hunde!
Foto: Der Papagraf

Dabei frag‘ ich mich schon seit langem, warum wir gegen alle Vernunft, diverse Bissstatistiken und auch derzeit wissenschaftlichen Stand noch immer dieser Mär von so genannten „Kampfhunden“ nachhängen. Zumal, wer die darunter fallenden Rassen kennt, der weiß, dass viele von denen sehr menschenbezogen sind. Wie in den meisten Fällen, es kommt auch hier auf das andere Ende der Leine an. In den falschen Händen kann jeder Hund zum „Kampfhund“ gemacht werden – das ist ja schon fast Allgemeinwissen (auch bei vielen Nicht-Hundehaltern!). Ist es wirklich sinnvoll, seine Vorurteile zu bestärken? Und damit auch seine eigenen Ängste zu schüren? Oder macht es nicht viel mehr Sinn, sich der Situation zu stellen und daraus zu lernen?

So wie übrigens auch Rico und Jackson. Die vergaßen ihre Vorurteile einfach irgendwann. Je länger wir spazieren gingen, umso besser verstanden sie sich. Am Ende hingen die beiden immer mehr zusammen – bis hin zum gemeinsamen Kumpelschnüffeln. Und wieder lehrte mein Hund mich etwas: Lerne jemand kennen und vergiss dein Vorurteil ihm gegenüber!

So mancher Verein engagiert sich für diese Listenhunde, so beispielsweise Listiversum oder TS Pit, Staff & Co., der regelmäßig „SoKa-Runs“ (SoKa=so genannte Kampfhunde) organisiert, bei denen wir auch schon mitliefen. Auch in Facebook wollen die Tieraktivisten auf die Problematik aufmerksam machen und aufklären. Nicht immer erreichen sie trotz ihres bewundernswerten Engagements dabei diejenigen, die am meisten Angst und Vorurteile haben. Aber vielleicht könnte das auch mal ein Ansatz für die vielen engagierten Tierschützer sein – neben der Aufklärung sich auch mal mit den Ängsten der anderen auseinanderzusetzen. Nicht nur Toleranz verlangen, sondern auch Verständnis haben. Wie wäre es denn mal mit „Aufklärungswalks“ mit den Ängstlichen zusammen? Oder vielleicht besser gesagt: „Gassi gegen Angst und Vorurteile“? Sprechen Sie doch einmal gezielt Psychische Kliniken und Ärzte an und fragen, ob Sie ihnen bei Angstpatienten eventuell behilflich sein können. Denn Hunde können viel besser zeigen, was wir Menschen nur erklären können. Ist vielleicht nicht einfach, zugegeben, aber das war der Gassigang mit Rico und Jackson anfangs auch nicht. Doch mit Geduld (weniger meine, als vielmehr die von Sandra) war es am Ende eine große Bereicherung! Ja, mehr noch! Nicht nur wegen der Lehren, die mir die Hunde wieder mal erteilt haben. Schon der Anblick der beiden nun kumpelhaft am Rhein schnüffelnden und schlendernden Hunde war purer Canigenuss!


Anmk.: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 03/2017; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag "Vorurteile" sind für uns Hunde wie Datenmüll...😃

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