Freitag, 28. Juni 2019

Roll-Leine in der Stadt

Die unendliche Freiheit...?


Da haben wir doch glatt einem Hund das Leben gerettet! Neulich erst, da kam uns auf der anderen Straßenseite ein echt hübscher Podenco-Mix entgegen. Am anderen Ende der Leine – eine Flex – hing ein ebenso attraktives Frauchen, intensiv mit ihrem Handy beschäftigt. Ich sah es schon kommen, selbst Rico schien irgendwas zu spüren, schaute er doch dauernd zwischen dem Hund und mir hin und her...

Zwei, die ohne Roll-Leine auskommen und ihre Freiheit genießen
Foto: Der Papagraf

Kaum war der Hund ungefähr auf gleicher Höhe wie wir (sein Frauchen hing an der Flex-Leine gut zwei, drei Meter dahinter), da spannte er sich an. Zum Glück sah ich dieses subtile Körpersignal rechtzeitig (nicht zuletzt auch wegen des kurzen Fells) – und so geschahen gleich drei Dinge gleichzeitig: der Podenco-Mix sprang auf die Fahrbahn, ich rief „Hey! Achtung! Dein Hund rennt auf die Straße!“, und Rico bestätigte mich mit seinem lauten Bellen. Erschrocken sah das Frauchen von ihrem Handy auf und zog ihren Hund zurück – gerade noch rechtzeitig! Denn da kamen schon die Autos um die Ecke, nur eine Sekunde später und...

Unbeeindruckt ging die Dame weiter, kein „Danke“, kein freundliches Kopfnicken, nichts, nada, niente. Stattdessen wieder auf ihr Handy schauend. Muss ja was Wichtiges sein, mindestens ein bilateraler Handelsvertrag oder 'ne Rede vor der Vollversammlung der UNO... Egal, ich konnte es mir nicht verkneifen ihr noch hinterher zu rufen: „Handy aus und Hirn an kann manchmal schon weiterhelfen!“ (Für alle Spekulanten: Nein, es war keine Blondine!)

Das ist nur eines von vielen Beispielen, die wir in der Stadt mit anderen Hunden, ihren Haltern und Flex-Leinen hatten. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: von quer über den Bürgersteig laufenden Hunden, während ihr Frauchen die Schaufenster bewundert; sich in der dünnen Leine verfangende Jogger; Hunde die um die Ecke biegen, während Herrchen gemütlich und deutlich nach dem Hund selbige Ecke erreichen – meist nachdem ihr Fellpartner schon auf andere Hunde losläuft. Und ja, es gibt sie tatsächlich, die Halter, die so eine Leine nicht mit einem Brustgeschirr, sondern am Halsband benutzen – mit entsprechender Wirkung auf die Wirbel, wenn Wauzi das abrupte Ende erreicht oder spontan der Stop-Knopf gedrückt wird. Auch ein Klassiker: Wie aus einer anderen Dimension gebeamt, schießen plötzlich unter den Tischen von Straßenkaffees Hunde an Flex-Leinen hervor – und einige Hundehalter haben ja die Reaktionsgeschwindigkeit eines bekifften Faultieres in der Nähe eines Schwarzen Loches (da vergeht dank der Super-Gravitation die Zeit weeeeeesentlich langsamer). Einige Anekdoten hat mein Doggen-Mix Rico ja auch schon in unserem Blog „GASSIREPORT“ gewufft.

Ehrlich liebe Hundehalter: Was soll das? Was braucht es eine Flex-Leine in der Innenstadt? Ich weiß, ihr benutzt diese Flex-Leinen nicht, um andere Halter und ihre Fellpartner zu ärgern! Immer wieder haben wir mit Anderen darüber geredet und dabei eines erfahren: Flex-Benutzer sind nicht böse! Also alle Flex-Gegner, lasst bitte die unqualifizierten Äußerungen! Manche Hunde kommen mit so einer Leine einfach besser klar; es gibt sogar Fälle, da geht es gar nicht ohne Flex – so beispielsweise bei einer 3-beinigen Hundefreundin, die schon wegen ihrer hüpfenden Gangart nicht mit einer normalen Leine geführt werden kann, ohne Hals- und Rückenschäden zu provozieren. Auch wenn es die Flex-Gegner nicht glauben wollen, die meisten Flex-Leinen-Benutzer mit denen wir sprachen, nutzen diese Leinen, weil sie ihren Hund lieben. Ja genau, denn die häufigsten Antworten waren: „So hat mein Hund mehr Freiraum“ oder „dann würgt ihn die Leine nicht so sehr“ und Ähnliches. Allerdings, liebe Flex-Benutzer, heißt das im Umkehrschluss, dass ihr darauf mehr Priorität legt, als auf eure Umwelt. Zumal ich mir echt die Frage stelle, was „mehr Freiraum für meinen Hund“ in der Stadt bedeutet? Etwa die Freiheit Selbstmord zu begehen? Vielleicht haben wir es ja hier mit einem ganz neuen Phänomen zu tun: dem suizidgefährdeten Hund 😉

War das eventuell der eigentliche Grund, weswegen der Podenco-Mix auch auf die Straße rannte? Wollte er am Ende gar nicht zu uns? Wollte er einfach nur dem Ganzen ein Ende machen!? Das mangelnde Interesse seines Frauchens trieb ihn vielleicht erst zu diesem Fahrbahn-Suizidversuch 😉

Spaß beiseite: Hört man die Argumente der Gegner, warum sie keine Flex-Leine benutzen, könnte man glatt meinen, die denken eher mit und weniger egoistisch. Denn da hörte ich als Argument gegen diese Leinen: „die Verletzungsgefahr für andere Menschen oder Hunde“ oder „so hab ich meinen Hund besser unter Kontrolle – zu seiner Sicherheit und der der Anderen“.

Ich will hier gar keine Diskussion um die erzieherischen Konsequenzen beginnen. Ist ja derzeit eh einer der Hundereligionskriege (neben der Erziehung wäre da noch die Ernährung, das Spielzeug, das Geschirr, Impfungen oder auch der passend zu den Erdstrahlen ganz Feng-Shui konform ausgesuchte Schlafplatz). Aber viele Experten meinen, dass erst mit einer Flex die Hunde das Ziehen an der Leine lernen würden. Klingt plausibel – und irgendwie auch canilogisch. Doch was geht mich die Erziehung anderer Hunde an? Das ist die Sache eines jeden Hunde-Mensch-Teams! ABER: Gegenseitige Rücksichtnahme – ist das echt zu viel verlangt? Dann haben ALLE mehr Freiheiten – Hunde wie Halter. Also liebe Flex-Freunde, lasst demnächst mal die Langlauf-Leine Zuhause, wenn ihr in die Stadt kommt. Wetten? Dann ist die Shoppingtour für alle entspannter – egal ob mit oder ohne Fell.


Anmk: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 06/2016; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Rücksichtnahme statt Roll-Leine.


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