Die Geruchswelt der Hunde bleibt uns Menschen ein Geheimnis. Dabei ist sie der Schlüssel zu ihrer Wahrnehmung. Es lohnt also mal , sich hineinzuversetzen und den Blick auf Geruchsquellen zu richten.
Alles verschwimmt vor meinen Augen. Nur unscharf erkenne ich Konturen. Voll konzentriert, schiebt sich vor mein geistiges Auge eine Schablone, ähnlich einer Sonnenbrille – oder in diesem Fall besser – eine geistige „Geruchsbrille“.
Kennen Sie schon „Odorisation“? Nein!? Nun, das ist keine Schande, denn so nenne ich ein neues Spiel (aus Odor = lat. für Geruch und Imagination = psychische Fähigkeit, Bilder im Geiste zu entwickeln und diese mit dem inneren geistigen Auge anschaulich wahrzunehmen). Ich ersann es nach meinem Besuch beim SHZ Suchhundezentrum in der Schweiz, wo ich vor allem sehr viel über die Verteilung von Geruchspartikeln gelernt habe: Ich verstelle meinen Augenfokus, schon um von den visuellen Reizen nicht ganz abgelenkt zu sein; außerdem hat durch die Unschärfe ja alles eine gewisse Aura, die in diesem Fall quasi die intensive Geruchsaura darstellt. Bevor einer meckert: ja, der Vergleich hinkt, aber ich kann nichts dafür, dass unsere Menschensinne nicht identisch mit dem unserer Hunde sind – daher verwende ich auch mal „hinkende“ Hilfsmittel, um mich in sie hineinzuversetzen (wie sehr mich die Geruchswelt der Hunde fasziniert, hatte ich ja bereits in unserer Kolumne in WUFF 01/2017 erzählt).
Mit diesem verschwommenen (und auch leicht glasigen) Blick laufe ich nun Gassi, das Döggelchen Rico schlendert entspannt neben mir – die Nase am Boden. Seine Körperachse verrät mir schon, in welche Richtung die Spur geht. Ich konzentriere mich auf die bereits erwähnte gedankliche „Schablone“, nutze die Technik der Imagination und versuche alle möglichen Gerüche schon im Vorfeld mir zu visualisieren (ich muss den Umweg über die Augen machen, mein Riechzentrum ist ja ausgebreitet nur so groß wie eine Briefmarke, seines hingegen wie ein DIN A 4 Blatt). Da ist ein Mülleimer, voller verlockender Gerüche, teils schon verdorbene Speisen (für Hunde ja oft eine Leckerei), kleinste Restpartikel vom Inhalt haften auch noch an Verpackungen … Will er dahin? Da erblicken meine auf Odorisation gestellte Augen (verschwommen) den Baum, am unteren Ende ein dunkler Fleck; hier hat wohl jemand markiert. Der Wind kommt leicht von der Seite … DAS ist sicher sein Ziel, denke ich. Zur Überprüfung blicke ich auf Rico: In der Tat ist seine Körperachse direkt auf den Baum gerichtet, nur minimal, denn der Mülleimer steht keine zwei Meter neben dem Baum.
Um zu VERSTEHEN, muss man sich in den anderen HINEINVERETZEN! |
Sicher, mein Odorisations-Blick kann es nicht wirklich mit einer Hundenase aufnehmen. Seine Differenziertheit kann er gar nicht erreichen. Und schon bei Gerüchen, die nicht auf sichtbaren Dingen haften, findet er seine Grenzen, so beispielsweise im Sand. Oder auch, wenn zu viele sichtbare Sachen vorhanden sind, wie dichtes Gebüsch und Blätterwerk im Wald. Oder aber gerade jetzt zur Weihnachtszeit, mit all ihren typischen Düften, von Bratwürsten, Glühwein, gebrannten Mandeln und Gebäck. Umso mehr sollten wir Menschen Respekt haben, dass unsere Hunde selbst in so einer Duft-Disco eine aufgenommene Spur verfolgen können – trotz Geruchs-Cocktails, Aroma-Stroboskopen, Stinke-Spots und verlockender Odor-Orgel.
Dennoch finde ich, kann der Odorisations-Blick es fast mit dem Röntgenblick aufnehmen. Vor allem im Zusammenspiel mit dem Lesen der Körpersprache. Nicht selten erkenne ich an den Körpersignalen von Rico, dass uns um die Ecke ein anderer Hund entgegen kommt. Auf jeden Fall hilft er mir vorausschauend schon das ein oder andere Interessante für meinen Hund zu erkennen. Aber auf jeden Fall hilft es mir auch, mich mehr in ihn hinein zu versetzen und ihn zu verstehen. Dafür nehme ich dann auch in Kauf, dass ich über die ein oder andere Wurzel stolpere, weil mein Odorisations-Blick wieder in weite Ferne schweift und ich nicht erkenne, was vor meinen Füßen liegt.
PS: Falls Sie es selber ausprobieren wollen, wundern Sie sich nicht über die Passanten, die Sie dann anstarren – es liegt an Ihrem glasigen Blick …
Anmk.: Dieser Artikel erschien zuerst in meiner Kolumne in WUFF - Das Hundemagazin 12/2017; parallel dazu erschien auch unser Blogbeitrag Im Riechen sind Hunde den Menschen mehr als eine Nasenlänge voraus
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