Montag, 25. Januar 2016

[Gastbeitrag] Die gewaltlose Gewalt

Heute freue ich mich euch einen Gastbeitrag von meiner lieben Blogger-Freundin und Autorin Severine Martens von der Fabelschmiede zu präsentieren. Der hat damals für ganz schön viel Aufsehen gesorgt. Angefangen hatte alles, weil ein Blogbeitrag von uns von einer Einzelperson ziemlich "missverstanden" und "fehlinterpretiert" wurde. *grrrr* Mein menschliches Cerebral-Interface lebt ja nach dem Spruch: Unterstelle niemals böse Absicht, wenn Dummheit als Erklärung genügt. Ich seh das ja anders, denke, das war schon Absicht...und der Versuch uns zu diffamieren und nen Shitstorm auszulösen. Und das alles nur, weil mein 2-Beiner nicht ihre Bücher verlosen wollte... *schüttel* Nun, der Schuss ging deutlich nach Hinten los. *schwanzwedel* Leider geriet aber Severine in die damalige Diskussions-Schusslinie. Sie wurde teilweise aufs heftigste beschimpft und angegriffen. *grrrrr*

Aber das Ganze hatte sein Gutes, Kleiner.

Ja stimmt! In mehrerer Hinsicht! Und ein positiver Punkt davon war, dass Severine diesen tollen Text zum Thema Gewalt geschrieben hat...und so ganz nebenbei mit manchen Mythen und Marketingtricks aufräumte.


Severine Martens Hund: Milo H. Lunke
Foto: Severine Martens



Die gewaltlose Gewalt


“Natürlich muss man Grenzen setzen. Manche Leute übertreiben es ein wenig mit der positiven Verstärkung und halten jedes Nein, jede Grenze für eine aversive Trainingsmethode. Auch Tiermütter tadeln ihre Jungen, dazu haben sie jedes Recht. Ein Tadel ist keine Strafe, eher ein Signal zum Aufhören. …” (Karen Pryor, 2014)


Wenn es möglich wäre, aus dem Menschen mit einem kleinen Schlag auf den Hinterkopf einen guten und umsichtigen Menschen zu machen, wir würden in einer wunderbaren Welt leben. Jedes Kind bekäme gleich nach seiner Geburt einen kleinen Klapps und keiner würde sich drüber aufregen. Es würde in einer Welt leben in der das Wort ‚Gewalt‘ ein Fremdwort ist. Wenn es nun auch noch möglich wäre, jeden Hund mit einem ebensolchen Stupps zu einem folgsamen Hund zu machen, der Hund würde in einer freien Welt leben. Jeder Welpe bekäme nun auch gleich einen Klapps und würde in der Zukunft immer auf Rufen herankommen. Er würde alles was er gerade tut umgehend unterlassen, wenn man es von ihn verlangt. Wir würden nicht nur in einer Welt ohne Hundetrainer leben, wir würden in einer Welt leben in der niemals das Wort ‚Gewalt‘ ausgesprochen oder gar aufgeschrieben worden wäre. Dieses Wort würde nicht existieren! Unsere Hunde könnten immer frei herum laufen weil sie folgsam sind und die Menschen würden sie gewähren lassen weil sie umsichtig sind. Wäre das nicht toll!

*Schnüffel*
Foto: Severine Martens

Gewalt ist eine schlimme Sache! Aber es ist einfach zu sagen, man wäre für ‚Gewaltlosigkeit’, denn wer außer ein paar kranker Zeitgenossen stellt sich schon dahin und plädiert öffentlich für Gewalt. Auf Gewalt zu verzichten ist eine gute Sache, eine Einstellung zum Leben, zum Miteinander und zum Frieden. Gewaltverzicht ist ein Ziel, dass man in seinem Leben hoch halten kann (oder besser: sollte!), aber ist wirklich alles Gewalt was augenscheinlich als Gewalt erscheint? Gewalt ist in unserer Welt allgegenwärtig, in den großen und in den kleinen Dingen. Gewalt ist ein Prinzip der Natur: Leben, töten und leben Lassen! Wir Menschen vergessen es nur sehr schnell, weil wir in einer Welt leben in der uns die großen Gewalten von Polizei, Militär, Gerichten, Behörden abgenommen und von uns fern gehalten werden. Die kleinen Gewalten wie ein Anrempler im Supermarkt, die Pöbelei des ungeliebten Nachbarn, das Hupen des genervten Autofahres im Stau - das alles ignorieren wir nur allzu gerne. Wir reden nicht gerne darüber, weil es nicht in unser Konzept eines gewaltlosen Lebens passt. Wir möchten es nicht sehen, keiner findet es toll und wir alle haben gelernt damit zu leben. Wir haben uns dran gewöhnt, es nicht mehr wahrzunehmen! Dabei tut es uns nicht im geringsten weh und in den meisten Situationen verstehen wir, dass wir persönlich überhaupt nicht gemeint waren.

Wenn uns einer im Supermarkt an der Kasse mit seinem Einkaufswagen von hinten anschuppst, finden wir das nicht toll und drehen uns erbost um. Lächelt der Verursacher uns dann an und entschuldigt sich, ist die Sache vergessen. Grinst er uns blöde an und schuppst noch einmal nach, dann meckern wir oder rufen gleich die Polizei und verklagen diesen Menschen wegen Körperverletzung. Wie auch immer: Ein und dieselbe Handlung erleben wir als verschieden, je nachdem wie unser Gegenüber sich verhält und wie wir es verstehen. Einmal erleben wir Gewalt und einmal nicht! In einer dritten Situation hat er uns vielleicht mit seinem Einkaufwagen angestuppst, weil wir geträumt hatten und es Zeit wird, unsere Waren endlich mal auf Band zu packen. Uns wurde etwas gezeigt, wir haben es verstanden, den Stupps nicht als Gewalt gespürt und uns entschuldigt - womöglich noch bedankt. Es ist also immer der soziale Zusammenhang, der unseren Handlungen einen Sinn gibt: Die Absicht des Handelnden, die Situation (oder Beziehung) in der gehandelt wird, unsere Wahrnehmung der Handlung und unsere Möglichkeiten diese zu verstehen! Passt alles zusammen und macht für uns einen Sinn, erleben wir keine gewalttätige Handlung, obwohl körperlicher Einsatz (Gewalt) im Spiel war - und unter Umständen haben wir sogar etwas dazu gelernt!

Wir Hunde sind soziale Lebewesen!
Foto: Severine Martens

Der Hund als soziales Lebewesen ist genau wie wir in der Lage, die (sozialen) Zusammenhänge von Handlungen zu verstehen. Er sucht wie wir selber in den Handlungen anderer nach einer Bedeutung für seine eigenen Bedürfnisse und sein eigenes Handel im sozialen Verband. Macht eine körperliche Einwirkung auf ihn in seinen Augen einen Sinn und erkennt er Alternativen kann er sehr gut damit umgehen, ohne sich als Opfer von Gewalt zu fühlen. Nicht anders machen es Hunde unter sich, wenn sie einem anderen Informationen zu seinem Verhalten geben wollen. Das hat nichts mit Strafe, Angst oder sogenannten Schreckreizen zu tun. Es handelt sich um eine Maßregelung im Sinne einer Korrektur oder Einschränkung (Begrenzung), eine sehr direkte Form des sozialen Lernens in der der Hund jederzeit die Möglichkeit hat, sein Verhalten aus eigener Entscheidung zu ändern oder beizubehalten. Macht die Maßregelung Sinn - und seitens eines ranghöheren Wesens wird es immer Sinn machen - wird der Hund folgen: Er hat für sein zukünftiges Verhalten aktiv etwas gelernt was es ihm ermöglicht, reibungsloser im sozialen Verband zu leben!

Wird der Hund von Fraule allerdings mit lecker Keks in der Hand oder einem erlernten Signal abgerufen, dann kommt er zum Fraule weil es lecker Keks gibt oder weil das erlernte Siganal ihm Appetit auf lecker Keks (oder einer anderen Belohnung) gemacht hat, welcher in der Regel beim Fraule vorzufinden ist. Aber die Information, dass Kläffen am Zaun vom Fraule unerwünscht ist, wird ihn vorenthalten. Der Hund hat was sein unerwünschtes Verhalten betrifft nichts gelernt, er wurde ausschließlich manipuliert - ohne jede Chance, einen Zusammenhang zwischen richtigem und falschem Verhalten herstellen zu können. Er wurde einfach nur abgelenkt oder auf einen Reiz konditioniert, der mit dem ursprünglichen Verhalten so viel zu tun hat wie eine Bananenschale mit einer Packung Nudeln - nämlich rein gar nichts! Und wenn der Hund es doch schafft, eine Verbindung zwischen Kläffen und Keks herzustellen, ist es so richtig blöd gelaufen: dann kläfft der Hund dann erst recht am Zaun herum, damit er seinem Fraule wieder eine solch tolle Freude bereiten kann und einen lecker Keks dafür bekommt. Knapp daneben ist auch vorbei! Einen smarten Anschuppser, eine kurze und deutliche Zurechtweisung oder eine körperliche Begrenzung zum Zaun hätte der gleiche Hund ohne jeden Zweifel verstanden - ohne es dem Menschen übel zu nehmen, wenn es nicht so gemeint war und dem Hund Alternativen angeboten wurden! Soziales Lernen findet im Gegensatz zur Dresssur im sozialen Kontext statt, durch das Annehmen und Lösen von Konflikten und durch die dazugehörige Kommunikation. Im Zusammenhang mit o.g. Zitat empfiehlt Karen Pryor übrigens jedem, der mit dem Hundetraining über ausschließliche positive Bestätigung anfängt, zunächst mit Hühnern oder Fischen zu üben. Die Lernenden sollen so begreifen, dass die Konditionierung von Verhalten nichts, aber auch rein gar nichts, mit Intelligenz zu tun hat. Es ist eine reine Dressur, mehr nicht!

Milo H. Lunke von der Fabelschmiede meint auch: Ohne Grenzen geht es nicht!
Foto: Severine Martens

Ich jedenfalls laufe nicht durch den Supermarkt und schiebe jedem einen Keks rein, der mich gerade nicht mit seinem Einkaufwagen anrempelt - und abgesehen davon, dass das ziemlich teuer für mich werden würde: Wer würde mich verstehen? Vielleicht wäre ja der eine, der mich in der Kassenschlange dann doch wieder anschuppst, enttäuscht, weil er jetzt keinen Keks bekommt. Vielleicht wäre er aber auch sehr frustriert, würde nachdenklich werden und von selber drauf kommen. Vielleicht haben ihm meine Kekse sowieso nie geschmeckt und er ist froh, dass er von mir bei der Kekszuteilung übersehen wurde. Wahrscheinlich aber geht ihm die ganze Sache tangetial-quer am Popo vorbei und bei der nächsten Gelegenheit habe ich wieder eine Einkaufskarre am Gesäß kleben.
 


(Anmerkung: Das vorangestellte Zitat von Karen Pryor stammt aus einen von Katharina von der Leyen geführten Interview, veröffentlicht im Dogs-Magazin 01/2014)


Vielen Dank Severine, dass wir deinen tollen Blogbeitrag hier auch veröffentlichen durften. Viele weitere tolle Wuff-Geschichten von Severine und ihrer Bande findet ihr in ihrem Online-Hundemagazin.


(Der Beitrag erschien zuerst am 21. März 2015 in Die Fabelschmiede)

4 Kommentare:

  1. Ein schöner Beitrag von Severine, besonders die Passage, wie man Gewalt erlebt. Ich find auch, ein natürlicher Umgang mit dem Hund ist immer noch am besten. Wenn ich von irgendwas genervt bin, dann teile ich ihm das mit und gut ist in den meisten Fällen. Dann muss ich mich nicht mit heitzi-peitzi verbiegen und unglaubwürdig erscheinen. Dennoch kann ich meinem Hund mit Keksen eine Freude machen. Linda zumindest steht da sehr drauf und macht dafür fast alles... ;) Kim mochte keine, also habe ich ihm auch keine aufgezwungen. Er war damit zufrieden, dass ich zufrieden war. Manchmal kann es doch wirklich sehr einfach sein...

    LG Andrea

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    1. Ja, ich freu mich auch total, dass ich Severines Beitrag bringen durfte. Und ich denke auch, dass es ein gesundes Mittelmaß sein muss, dass jedes Hund-Mensch-Team für sich selber herausfinden muss.

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  2. Toller Beitrag,ich sehe das ein Hund auch noch ein Hund bleiben sollte...lg Thomas www.hundespezi-uplengen.de

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    1. Ja, eben, denn genauso machen wir Hunde euch Menschen doch auch am meisten Freude: indem wir Hund sind! :-)

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